Selbstverteidigung und Notwehrrecht

 
(Quelle: Thomas Blanke, Rechtsanwalt)


Notwehrrecht
Notwehrrecht02
  1. Einführung

  2. Die Notwehr (§32 StGB)

    1. Die Notwehrlage
      1. Der gegenwärtige, rechtswidrige Angriff
      2. Die Putativnotwehr
    2. Die Notwehrhandlung
      1. Der Begriff der Verteidigung
      2. Die Erforderlichkeit der Verteidigung
      3. Das Gebotensein der Handlung (§ 32 Abs. 2)
    3. Der Verteidigungswille
    4. Die Notwehrprovokation
      1. Der verschuldeten Notwehrlage
      2. Die Absichtsprovokation

  3. Der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB)
    1. Die Notstandslage
      1. Die Gefahr
      2. Die gegenwärtige Gefahr
      3. Die nicht anders abwendbare Gefahr
    2. Die Notstandshaltung
      1. Die Abwägungsklausel
      2. Die Angemessenheitsklausel
    3. Der Rettungswille

  4. Rechtfertigungsgründe außerhalb des StGB
    1. Das Festnahmerecht (§127 Abs. 1 StPO)
    2. Defensiver und aggressiver Notstand (§ 228, 904 BGB); Selbsthilfe (§229 BGB)

  5. Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe
    1. Die Einwilligung
      1. Das Einverständnis
      2. Die Einwilligung
      3. Die mutmaßliche Einwilligung
    2. Handeln im erlaubten Risiko
    3. Rechtfertigende Pflichtenkollision

  6. Unkenntnis vom vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes

 
Übersicht: Rechtfertigungsgründe
§ 32 StGB Notwehr
§ 34 StGB Rechtfertigender Notstand
Einwilligung
§ 127 StPO Vorläufige Festnahme
§ 228 BGB Defensivnotstand
§ 904 Aggressionsnotstand
§ 229 BGB Selbsthilfe
Kollisionslage (Notwehr- Notstands- Situation) „ob“ Gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr (beliebige Ursache).
Gegenwärtiger rechtswidriger Angriff von einem Menschen. Notwehrfähig ist jedes geschützte Rechtsgut.
Notstandfähig ist jedes geschützte Rechtsgut. Zulässigkeit des Rechtsgutverzichts. Dispositionsbefugnis des Betroffenen Einwilligungsfähigkeit Kein Willensmängel (z.B. durch Täuschung, Drohung) Erklären der Einwillig-ung vor der Tat. Betreffen oder Verfolgung auf frischer Tat. Fluchtverdacht oder Identität nicht sofort feststellbar. Drohende Gefahr von einer fremden Sache, auch von einem Tier Gegenwärtige Gefahr, die nicht von der betroffenen Sache ausgeht. Obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen. Gefahr der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung des Anspruchs ohne sofortiges Eingreifen.
Eintritts-befugnis (Notwehr- Notstands- Situation) „wie“ Verteidigung muss erforderlich und geboten sein. Ausweichen wird nicht verlangt. Grenze bildet das Verbot des Rechtsmißbrauchs Notstandshandlung erforderlich, d.h. ein geeignetes und das relativ mildere Mittel. Das geschützte Interesse muss das beeinträchtigte wesentlich überwiegen (Abwägungsklausel)Zudem muss die Tat ein angemessenes Mittel zur Abwendung der Gefahr sein (Angemessenheits-klausel, § 34 S. 2 StGB). Beeinträchtigung des jeweiligen Rechtsguts in den Grenzen der Einwilligung. Vorläufige Festnahme Gerechtfertigt werden: - Beschränkung der Freiheit; - Körperverletzung durch zupacken; - Wegnahme von Sachen zur Feststellung der Person. Beschädigung oder Zerstörung ist zur Abwendung der Gefahr erforderlich und der Schaden steht nicht außer Verhältnis zu der Gefahr. Einwirkung zur Abwendung der Gefahr notwendig und drohender Schaden gegenüber dem entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß. - Wegnahme, Zerstörung oder Beschädiung
Subjektives Rechtfertig-ungselement (Verteidigungs- Rettungswille) „wer“ Täter muss mit dem Willen handeln, den Angriff abzuwehren. Täter muss mit dem Ziele tätig werden, die Gefahr abzuwenden. Täter muss in Kenntnis und aufgrund der Einwilligung handeln. Täter muss zum Zwecke der Identitätsfeststell-ung handeln. Täter muss mit dem Willen handeln, die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Täter muss zur Abwendung der Gefahr handeln. Täter muss zum Zwecke der Selbsthilfe handeln.


Notwehr nach Provokation

Dir Pflicht zur Zurückhaltung bei der Abwehr eines provozierten Angriffs dauert nicht unbegrenzt (im Anschluß an BGHST 24, 365).

StGB 1975 § 32.

2. Strafsenat. Beschl. Vom 12. Dezember 1975 g. K. 2 StR 451/75.

Schwurgericht Koblenz

Gründe:

Am 15. Juli 1970 nahm der 34jährige F. bei einem Abendspaziergang daran Anstoß, dass der damals knapp zweiundzwanzig Jahre alte Angeklagte ein sich dagegen sträubendes 16jähriges Mädchen mit schmerzhaften Griff an dessen Arm vorbei führte und ihr eine Ohrfeige versetzte.
Er forderte den Angeklagten auf, das Mädchen in Ruhe zu lassen. Der Angeklagte widersprach mit den Worten, das gehe ihn nichts an, und setzte seinen Weg fort, ohne den Griff um den Arm des Mädchens zu lösen. F. ging ihm darauf nach und faßte ihn am Arm. Der Angeklagte wandte sich, das Mädchen loslassend, um, gab F. einen Stoß vor die Brust und wiederholte, die Sache gehe ihn nichts an.
Bei dem nachfolgenden Handgemenge zog F. den kürzeren: er kam auf der Straße zu sitzen. Während der Angeklagte mit dem Mädchen, das auf ihn gewartet und ihn zum Mitkommen aufgefordert hatte, weiterging, sprang der (F.) über die Reaktion des Angeklagten (diesen) erneut mit den Armen zuschlagend an. Über eine Strecke von 15 Metern wehrte dieser rückwärts gehend und sich duckend die Schläge des F. ab. Er forderte ihn dabei mehrfach zum Aufhören auf. Als das nicht fruchtete, versetzte er dem Angreifer mit der linken Faust einen schnellen gezielten Schlag ins Gesicht, der diesen zu Boden streckte und die tödlichen Verletzungen herbeiführte.

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen und auf eine Freiheitsstrafe erkannt.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

Das Schwurgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte in einer Notwehrlage befand, als er den ihn beharrlich angreifenden F. durch den Faustschlag zu Boden streckte.

Es ist jedoch der Ansicht, dass der Angeklagte mit diesem Schlag über das zulässige Maß der erforderlichen Abwehr hinausging und begründet dies an sich auch zutreffend, indem es die zu diesem Zeitpunkt gegebenen Kräfteverhältnisse des Angreifers und des Angeklagten in Vergleich setzt und insbesondere in Rechnung stellt, dass der Angeklagte als trainierter, auch in Wettkämpfen geübte Boxer die Lage beherrschte und die Möglichkeit gehabt hätte, dem Angriff durch einen weniger gefährlichen Schlag (etwa auf die Brust oder den Arm des Angreifers) ein Ende zu setzen. Es läßt es jedoch an der klaren und eindeutigen Feststellung fehlen, dass der Angeklagte, was nach den mitgeteilten Umständen naheliegen konnte, sich dieser Lage auch bewußt war.

Die unklaren, statt von einem Tatbestands- von einem Verbotsirrtum ausgehenden Darlegungen zur inneren Tatseite sind ersichtlich von der Annahme beeinflußt, der Angeklagte sei auch in dem hier wesentlichen Stadium des Geschehens noch durch sein vorausgehendes provozierendes Verhalten zu besonderer Zurückhaltung verpflichtet gewesen. Damit hat das Schwurgericht jedoch außer acht gelassen, dass die dem Provokateur gebotene Zurückhaltung gegenüber einem rechtswidrigen Angriff nicht von unbegrenzter Dauer sein kann. Wie der Senat schon in BGHSt 24,356 zum Ausdruck gebracht hat, darf dieser in solchen Fällen das wirksamere und gefährlichere Abwehrmittel nicht sogleich einsetzen. Hat er jedoch, wie es hier mit dem abwehrenden Zurückweichen des Angeklagten und der gleichzeitigen wiederholten Aufforderung zur Einstellung des Angriffs geschah, sich gemessene Zeit mit seiner Abwehr zurückgehalten und fruchtet das nicht, so kann ihm eine längere Beschränkung auf eine weniger wirksame und zur Beendigung des Angriffs ersichtlich unzureichende Verteidigung nicht mehr abverlangt werden. Die dem Angreifer aufgrund der Provokation zukommende Bevorzugung dauert nicht unbegrenzt an, sondern wird gleichsam verbraucht, wenn die vom Verteidiger geübte mildere Form der Abwehr nachhaltig ohne Wirkung bleibt. Das wird das Schwurgericht bei der neuen Verhandlung und Entscheidung zu beachten haben. Hingewiesen wird weiter auf folgendes:

Verfügt der Verteidiiger über eine Waffe und ist dies dem Angreifer unbekannt, so wird von dem Verteidiger je nach Kampflage häufig zu erwarten sein, dass er die Verwendung der Waffe androht, ehe er sie zum Einsatz bringt. Nicht anders wird es regelmäßig zu beurteilen sein, wenn der Verteidiger als ausgebildeter Boxer oder Ringer einem ungeübten Angreifer weit überlegen ist und damit rechnen kan, dass schon der bloße Hinweis auf die eigene Fertigkeit ihre Wirkung haben und den Angreifer zur Aufgabe veranlassen wird. (Sehr strittig und wohl eher überholt)

(Sehr strittig und wohl eher überholt)

Kampflage:

(aus Dreher / Tröndle StGB 45. Auflage S. 219f)

Erforderlich zur Abwendung des Angriffs muss die Verteidigung sein. Sie muss –



!!! Vom Strafrecht ist das Zivilrecht ganz klar zu trennen !!!

Strafrecht: Hier ist die Frage nach der Strafe

Zivilrecht: Hier wird der Schadenersatz geregelt

Schadenersatz zahlt, wer schuldhaft ein Rechtsgut eines anderen verletzt hat.